Eintrag 29: Woche 33 (Endorphine)
Liebe Alle
Wort der Woche: les Endorphines, pl. f. - die Endorphine - “Kann man Endorphine sammeln?”
Es ist April. Die Sonne scheint… Diese Woche habe ich endlich wieder ein paar Freunde getroffen. Am Mittwoch im Gym und am Donnerstag zum Mittagessen. Und weil’s so schön war haben wir uns gerade noch einmal für den Abend verabredet. Man sagt ja, wenn man Zeit mit Menschen verbringt, die man gernhat, schüttet man Endorphine aus. Als ich an diesem Donnerstagabend nach Hause lief, war ich voller Glückshormone. Ich habe sie am ganzen Körper gespürt. Am Freitagabend war ich bei einer Freundin eingeladen. Wir trafen uns bei ihr im Apartment. Ein paar brachten Essen, ein paar brachten Wein. Ein paar brachten Farben und Teller. Wir veranstalteten ein kleines Malatelier – mit Apéro. Eine wundervolle Idee. Gute Gesellschaft, gutes Essen, guter Wein und man konnte sich auch noch kreativ verwirklichen – alles an einem Abend! Dieser Abend war einfach entspannt. Jede hat ein bisschen vor sich her gemalt, wir haben uns unterhalten und die Zeit genossen. Als ich an dem Abend nach Hause lief, leicht angetrunken, voller Glückshormone, meinen Teller in der Hand (war etwas schwierig, mit einem noch nicht ganz trockenen, angemalten Teller in der randvollen Metro – ich entschuldige mich bei allen, die jetzt blaue Farbe auf ihren Kleidern haben…) und mit meinem Freund telefonierend, dachte ich: “Ich liebe mein Leben.”
Am Samstagmorgen bin ich früh aufgestanden und wieder einmal auf den Markt gegangen. Dieses Mal war meine neuste Errungenschaft: Knollensellerie. Ich wusste nicht, dass die so aussehen. Spannend. Ich habe das Gefühl, ich lerne hier die wirklich wichtigen Dinge. Mein Marktfreund fragte mich, ob der junge Mann, der mich letztes Mal in strömendem Regen begleitete, mein Ehemann war. “Noch nicht”, antwortete ich. Aber wer weiss? Nach dem Markt habe ich immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Wieder eine kleine Ladung Endorphine für meinen Speicher. Ich habe irgendwie das Gefühl, ich werde sie noch brauchen. Am Samstagnachmittag habe ich mit einer Freundin in der Schweiz telefoniert. Endorphine. Am Abend kochte ich mir gemütlich etwas zu Abend und schaute einen Film. Endorphine. Ich habe das Kochen echt lieben gelernt hier in Lyon. Es ist sehr beruhigend, sich auf das Schneiden und Kochen zu konzentrieren und das Essen schmeckt einfach noch viel besser, wenn man es selbst zubereitet hat. Und – es braucht nicht viel Energie und trotzdem habe ich nach dem Kochen das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Ich habe mir Zeit für mich genommen, ich habe mich auf eine Sache fokussiert, ohne tausend andere Sachen gleichzeitig machen zu wollen und ich habe am Ende ein Produkt in der Hand – oder auf dem Teller, dass mich glücklich macht. Und wieder - Endorphine. Ich stellte mir vor, wie ich mir einen Vorrat an Endorphinen anlegte, bereit zum Ausschütten, wenn ich sie brauchte. Oder möglichst viele Endorphine auszuschütten, sodass mein Organismus es irgendwann automatisch machen würde. Ein Endorphin-Autopilot. Das war mein Motto diese Woche: zu lernen, wie man Endorphine mobilisiert. Für Momente, in denen ich sie brauchen würde. Eine schöne Aufgabe.
Dieses Wochenende war das Wetter traumhaft. 27 Grad und Sonnenschein. Ich habe mich gefühlt wie im Hochsommer. Die Sonne brannte. Am Sonntag habe ich mich mit einer Freundin zum Kaffee trinken verabredet. Die Stadt sieht einfach noch tausendmal schöner aus im strahlenden Sonnenlicht, unter blauem Himmel. Ich habe mich gerade noch einmal mehr verliebt. Und – ihr ahnt es schon. Wieder ein paar Endorphine in meinen Blutstrom rausgelassen. Wir liefen der Rhône entlang und suchten uns eine Bar auf einem Boot aus. Eine Boot-Bar. Oder so. Liebe ich. Leider waren wir nicht die Einzigen mit dieser Idee und wir mussten einige Minuten (mindestens fünfzehn) in der prallen Sonne warten. Ich bin fast davongeflossen. Ich fühlte förmlich, wie meine Extremitäten flüssig wurden und eine Pfütze unter mir bildeten. Als wir warteten, sahen wir wie immer mehr Tische frei wurden. Und wir immer noch in der Schlange standen, die nicht kürzer wurde. Als wir endlich an der Reihe waren, meinte der Barmanager, er könne uns den Tisch, den wir gerne hätten, nicht geben, weil er im Moment keine Zeit zum Abräumen hatte. Und gab uns den Tisch ohne Aussicht ganz hinten auf dem Boot. Dafür sind wir nicht angestanden… Als wir uns hinsetzten (eine Minute später), sahen wir, wie er den Tisch, den wir wollten schon abgeräumt hatte. So viel dazu… Lügner. Ich muss sagen meine Endorphin-Speicher lehrten sich schon wieder etwas, bei diesem Idioten. Wir wechselten kurzerhand den Tisch einfach selbst, weil wir keine Lust hatten in diesem Schattenloch zu sitzen. Er sagte nichts dagegen. Als wir bestellten, fragte ich ob ich meinen “Latte” mit Eiswürfeln haben konnte, weil es gefühlt vierzig Grad hatte. Er meinte das geht nicht. “Endorphine”, dachte ich, “Endorphine… Meine Stimmung ist super.” Ich meinte, er könne doch einfach meinen “Latte” in ein Glas mit Eiswürfeln schütten. Das sollte doch möglich sein. “Das geht auch nicht”, erwiderte er. Aber er könne mir den “Latte” bringen und dazu ein separates Glas mit Eiswürfeln. Ich atmete aus. “Okay, sehr gerne”, antwortete ich mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen. Halleluja. War das jetzt schwierig. Ich bekam meinen “Latte” und die Eiswürfel, die ich dann selber in die Tasse bewegte, aus welchem Grund auch immer das nicht an der Bar möglich war und wir genossen unser Kaffee-Date. Ein kleines bisschen Sommerferiengefühl an einem Sonntagnachmittag, was will man mehr? Und meine Glückshormone sind wieder geflossen. Ich versuchte dieses Glücksgefühl einzufangen, mir fest einzuprägen und es festzuhalten, denn die darauffolgende Woche war wieder Bibliothek angesagt. Lernen. Stress. Alle sagen immer Studenten haben das beste Leben. Stimmt vielleicht auch. Aber die Zeit während den Prüfungen macht keinen Spass. Deswegen: “Endorphine!” …Ein Versuch war es wert.
Alles Liebe
-Kayley