Eintrag 12: Woche 10 (Regenbogen)
Liebe Alle
Wort der Woche: l’arc-en-ciel, m. - der Regenbogen - “Ohne Regen keine Regenbogen.”
Die Türe öffnete sich… und da warst du. An deinem verwirrten Blick konnte ich sehen, dass du mit meinem Auftauchen nicht gerechnet hast. Wie in Zeitlupe trat ich ein, umarmte dich: “Happy Birthday”, sagte ich unsicher. Ich war mir noch nicht so sicher ob du dich gefreut hast mich zu sehen. Nach zehn Minuten hast du deinen Schock überwunden und hast mich noch einmal umarmt. “Schön, dass du da bist.” Okay, ich glaube du hast dich gefreut. Die Überraschung ist geglückt. Ich wusste, dass wir uns am Freitag schon wieder sehen würden und ich “nur” für eine Nacht zu dir gefahren bin. Für mich waren es ein paar Stunden geschenkte Zeit, die wir zusammen verbringen konnten. Und hätte ich gewusst, wie bequem dein neues Bett ist, wäre ich vermutlich schon früher gekommen…
Am nächsten Morgen mussten wir früh aufstehen. Der Winter ist in der Schweiz schon etwas näher als in Frankreich. Wir (du) mussten schon den Frost von den Autoscheiben kratzen. Ein weiterer Vorteil dieser Überraschung war, dass ich noch einen Zwischenstopp bei meiner Familie einlegen konnte. Zuhause in Seltisberg angekommen habe ich sie endlich wieder gesehen. Ich habe sie so vermisst. Leider waren nur 4/5 anwesend, aber das ist schon eine gute Quote für einen Mittwochmorgen. Sie haben sich alle Zeit freigeschaufelt, um mich zu sehen. Meine Familie ist das reinste Chaos, das habe ich schon immer gewusst, aber jetzt, wo ich zwei Monate weg war, ist mir das erst so richtig aufgefallen. Langweilig war mir auf jeden Fall nicht und es war sehr schön mal wieder mittendrin zu sein. Es ist schon nicht das gleiche, alle nur über einen Bildschirm zu sehen. Zu Hause ist es eben doch am schönsten. Am Mittag war ich mit meiner Mama Mittagessen. Nur wir zwei. Das war auch sehr schön. Am Nachmittag ging es dann schon wieder zurück nach Lyon. In Lyon angekommen habe ich mich noch mit einem Freund zu einem Bier verabredet. Wir hatten uns schon lange nicht mehr gesehen (eineinhalb Wochen – das ist eine Ewigkeit in Erasmus-Zeit, weil man sich sonst immer so alle zwei Tage sieht). Wir haben uns wieder auf den neusten Stand gebracht und danach bin ich nach Hause gefahren. Er ist mit Schild und Rosenstrauss zum Flughafen gefahren, um seine Freundin abzuholen. Menschen, schreibt euch das auf, falls ihr auch mal jemanden abholen wollt! Noch eine kleine Anmerkung, falls jemals jemand mich abholen kommt: ich hätte lieber Sonnenblumen als Rosen… (aber ich würde mich natürlich auch über Rosen freuen). Nur so, um es mal gesagt zu haben. Am Donnerstagmorgen hatte ich Unterricht im Krankenhaus und danach habe ich noch ein zwei Sprechstunden mitverfolgt. Den Donnerstagabend habe ich mit meiner Mitbewohnerin gemütlich auf dem Sofa verbracht. Wir gönnten uns mal wieder ein bisschen guten Trash (the Kardashians).
Am Freitagmorgen machte ich mich auf den Weg zum Bahnhof. Ein Wochenende in Colmar mit dir. Ich fuhr mit dem Zug nach Mulhouse. Ich kam schon um 13:00 an also hatte ich eine Stunde Zeit, bevor du mich aufgabeln würdest. Ich beschloss, die Altstadt von Mulhouse zu erkunden. Das war meine Gelegenheit, weil ich vermutlich nie mehr wieder so viel Zeit in Mulhouse verbringen werde. Ich spazierte etwas durch das Städtchen und setzte mich in ein Café, um etwas zu Mittag zu essen. Danach machte ich mich auf zu unserem Treffpunkt. Mein Fazit: Mulhouse ist ganz nett aber nach einer Stunde hat man es glaube ich auch gesehen. Ich muss aber zugeben, es ist schöner als erwartet. Ich stieg in dein Auto und wir fuhren los nach Colmar. Wir kamen an und machten es uns in unserem Apartment bequem. Wir kuschelten uns aufs Sofa. Draussen regnete es. Drinnen war es schön warm und gemütlich. Wir hatten unsere eigene kleine Welt. Nur du und ich. Für das Wochenende. Wir überlegten uns, wo wir essen wollten, hatten es aber auch nicht wirklich eilig unsere kleine Blase zu verlassen. “Wie wäre es, wenn wir uns eine Flasche Wein besorgen und uns etwas zu essen bestellen?” Ein guter Plan. Wir machten einen kleinen Spaziergang zum nächsten Supermarkt, kauften etwas zu trinken und machten uns wieder auf den Heimweg. Ein Spaziergang, gerade lange genug, um das perfekte bisschen kalt zu haben, um sich dann um so mehr darauf zu freuen, sich wieder in der warmen Wohnung aufwärmen zu können. Wir bestellten uns Burger und Onion Rings, machten es uns mit zwei Gläsern Bier (wir dachten, Bier und Burger passt besser, als Wein und Burger) auf dem Sofa gemütlich und starteten eine Liebeskomödie auf Netflix. Ein perfekter Abend bei Regenwetter. Nachdem wir am nächsten Morgen ausgeschlafen hatten, besuchten wir ein Weingut, um uns durch das Angebot zu probieren. Wir verstehen beide noch nicht ganz so viel von Wein, aber wir waren uns einig, welcher der Beste war. Am Abend machten wir uns auf die Suche nach einem Restaurant, um zu Abend zu essen. Bei uns dreht sich wirklich alles um Essen und Wein. Das gefällt mir. Nach dreissig Minuten durch den Regen marschieren und abgewiesen werden, weil ausgebucht, hatte ich viel Hunger und wenig Hoffnung noch etwas zu finden. Und noch weniger Geduld. Wir standen draussen vor dem letzten Restaurant, das uns abgewiesen hatte. Im Wind. Im Nass. Ich wollte nur noch nach Hause. Als wir schon kapitulieren und uns auf den Heimweg machen wollten, öffnete sich die Tür und wir wurden wieder zurück ins Restaurant gerufen. Sie hatten doch noch einen freien Tisch für uns. “Gott sei Dank!”, dachten wir beide. Ich, weil ich am Verhungern war und du, weil du wusstest, dass ich am Verhungern war.
Nach dem Essen spazierten wir nach Hause. Die Stimmung war schon etwas angespannt. Ich hatte schon den ganzen Abend etwas mit meinen Gedanken zu kämpfen. Ich wurde immer mehr in einen Strudel von negativen Gedanken hineingezogen und zog mich immer mehr zurück. Ich spürte ganz genau, was passierte. Ich wusste, ich wollte mit dir reden. Dir erklären, was in mir vorging. Aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht reden. Es ist, als würde man den Zugang zur Aussenwelt verlieren. Man zieht sich immer mehr in sein Inneres zurück, als ob man in einem brennenden Gebäude steht und vor lauter Rauch den Ausgang nicht mehr findet, obwohl man direkt davorsteht. Man müsste nur die Hand ausstrecken und wäre draussen. Aber man weiss nicht wie. In meinem Kopf schreien meine Gedanken um die Wette. Doch ich bleibe stumm. Dieses Gefühl ist schwer zu beschreiben und es ist nicht einfach sich davon zu lösen. Den Weg an die frische Luft zu finden. Man muss den Raum langsam vom Rauch befreien, bis man die eigene Hand vor Augen wieder sehen kann und endlich den Ausweg findet. Ich war also in meinem Gedankenchaos gefangen und wollte nur meinen Frieden. Als wir in der Wohnung ankamen, sahen wir, dass unsere Nachbarn von oben, beschlossen haben, die Party des Jahres zu feiern. Super. Unsere Wohnung war natürlich in einem alten Gebäude. Die Musik war laut, die Wände null isoliert. Also hatten wir unfreiwillig auch eine Party bei uns. Die Musik wäre noch auszuhalten gewesen. Aber sie tanzten wie die Wilden und sprangen mit so viel Energie herum, dass unsere ganze Wohnung vibrierte und ich mir sicher war, dass bald die Decke durchbrechen würde. Nichts mit entspannt Tee trinken und Serien schauen. Ich hätte heulen können. Wir beschlossen, ins Bett zu gehen. Ich war so fertig mit der Welt, dass ich bald darauf eingeschlafen bin.
Am nächsten Morgen bin ich um 8:00 aufgewacht und konnte nicht mehr schlafen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis und ich musste raus. Ich wollte dich nicht wecken und versuchte mich so leise wie möglich aus der Wohnung zu schleichen. Ich suchte mir eine Bäckerei raus, um uns frischen Kaffee und Pain au chocolat zum Frühstück zu holen. Ich ging nach draussen und lief los. Es nieselte. Aber die Sonne schien. Ich lief und lief. Meine Gedanken kreisten. Ich beschloss, mir den Hinweg zum Nachdenken zu geben und den Rückweg, um loszulassen. Den Kopf frei bekommen. Das war das Ziel dieses Ausflugs. Ich lief weiter. Um die nächste Abzweigung. Und blieb abrupt stehen: Ein Regenbogen. Was jetzt kommt klingt unglaublich kitschig, aber ich schaute diesen Regenbogen an und wusste, es wird alles gut. Ich atmete aus. Ich wollte nur noch zu dir. Dieser Regenbogen gab mir irgendwie das Gefühl, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Im Leben gibt es Sonnenschein und Regenschauer. Und es gibt Menschen, die daraus einen Regenbogen machen. Du bist einer dieser Menschen. Ich machte mich auf den Rückweg. Ich legte einen kurzen Zwischenstopp ein, um Kaffee zu holen. Du warst immer noch im Bett als ich zurückkam. Als du mich gehört hast, hast du deine Arme ausgebreitet und ich habe mich zu dir gelegt. Nirgendwo wollte ich in dem Moment lieber sein als bei dir.
Am Mittag haben wir es dann endlich in die Altstadt geschafft. Wir mussten schon ein bisschen wissen, wie das Städtchen aussah. War ein schönes Städtchen, klein aber schön. Und sie haben schon begonnen mit der Weihnachtsdekoration… Das macht alles einfach noch schöner. Da mein Zug um 20:00 in Mulhouse abfuhr, haben wir uns rechtzeitig auf den Weg gemacht. Wir legten einen kurzen Zwischenstopp bei McDonald’s ein, um uns was zum Abendessen zu holen. McDonald’s-Essen auf dem Parkplatz einer Autobahnraststätte. Das kann auch nur mit dir romantisch sein. Wir verabschiedeten uns am Bahnhof in Mulhouse. Ich stieg in den Zug nach Lyon. Morgen geht der Alltag wieder los. Alles beim Alten. Naja fast alles…
Alles Liebe
-Kayley