Eintrag 4: Woche 2 (Niemand hat mir gesagt, dass es so heiss werden würde…)

Liebe Alle

Wort der Woche: chaud - heiss - "Es war heute viel zu heiss!!!.”

Ich wohne jetzt zwei Wochen in Frankreich und ich habe nun einige Erkenntnisse gesammelt. Zuerst muss ich aber noch etwas loswerden, damit ihr euch meinen allgemeinen Gemütszustand besser vorstellen könnt: es ist 35 Grad heiss, die Sonne scheint den ganzen Tag und ich habe letzten Montag mit dem Französischkurs gestartet. Das bedeutet sechs Stunden Unterricht am Tag bei 35 Grad in einem stickigen Klassenzimmer. Kein Schüler wird Mitleid mit mir haben, das versteh ich. Ich selbst habe schon ein bisschen Mitleid mit mir.

Nun zum eigentlichen Teil. Erkenntnis Nummer eins – Die Bettdecken (“les couettes”): Die Bettdecken in Frankreich sind grösser als die Betten. Das ist das Unpraktischste, was ich jemals gesehen habe. Vor allem bei 35 Grad Aussentemperatur. Ich gehöre zu dem Anteil der Bevölkerung, der gerne wenigstens ein bisschen zugedeckt ist beim Schlafen, auch wenn es heiss ist. Nur so ein Bein oder ein halbes Bein unter der Bettdecke für das nötige bisschen Geborgenheit. Stellt euch jetzt mal vor ihr habt eine Decke mit einer Fläche von 4m2, ihr wollt aber nur von ungefähr 10cm2 zugedeckt werden. Das bedeutet die restlichen 3,999m2 sind in einem riesigen Stoffberg neben euch im Bett aufgetürmt und nehmen wertvollen Schlafplatz weg. Eine ungünstige Ausgangslage für einen erholsamen Schlaf. Den ich aber dringend nötig habe, da ich, neben meinen Verpflichtungen im Französischkurs, unterwegs bin, um neue Freunde kennenzulernen und mein soziales Umfeld aufzubauen. Aber ich will mich nicht beklagen, ich kann froh sein habe ich ein Bett. Und ein Dach über dem Kopf.

Sprechen wir lieber über Erkenntnis Nummer zwei – Studentenwohnheime (“les résidences universitaires”): Ich hatte unglaublich viel Glück mit meiner WG. Ich habe in meinem Französischkurs viele neue wundervolle Menschen kennengelernt, wovon viele in einem Zimmer im Studentenwohnheim wohnen. Und über diese Wohnheime habe ich viele schlimme Geschichten gehört. Die meisten haben sich damit abgefunden und, starke Krieger und Kriegerinnen wie sie sind, machen sie das Beste daraus. Zwei Freunde erzählten folgendes: das Bad ist 1x1m gross und die Toilette ist in der Dusche. Das Beste: man kann so am Morgen Zeit sparen, weil man sich während dem Duschen erleichtern kann. Sie teilen sich einen Kühlschrank, weil der Kühlschrank im einten Zimmer ausgestiegen ist. Das bedeutet, sie müssen jeden Tag einkaufen, weil sie keinen Platz für mehr Essen haben. Das Beste: sie können so jeden Tag essen, worauf sie gerade Lust haben. Ein anderer Freund hat erzählt, dass er am ersten Tag von vier toten Kakerlaken und zehn toten Fliegen (die Anzahl ist für kreative Zwecke etwas angepasst worden) auf dem Küchentisch empfangen wurde und der einzige Stuhl, der in seinem Zimmer war, hatte noch 0 von 4 Stuhlbeinen. Nach kurzer Verhandlung mit den Verantwortlichen und Veranschaulichung des offensichtlich ultramiesen Zustandes seines Studios konnte er seine Unterkunft wechseln und wohnt nun in einem schöneren Apartment in derselben Residenz. Das Beste: die Verantwortlichen waren verständnisvoll und haben ihm ein neues Studio überlassen. Mir tut nur die Person leid, die nun an seiner Stelle da wohnen muss… Weitere Freunde haben erzählt, dass es in ihrer Residenz zwei Waschmaschinen für 300 Bewohner hat. Das Beste: nein, dazu fällt mir nichts Positives ein. Ein Freund hat sein Zimmer mit einer Gefängniszelle verglichen… Das - Nein - auch dazu nichts Positives. Ich könnte noch mehr Geschichten erzählen, aber ich denke ihr könnt es euch vorstellen. Ich wohne hier in einer super WG mit unglaublich herzlichen Mitbewohnerinnen, einer eigenen Waschmaschine, einem genügend grossen Kühlschrank, eigener Küche… Und das, nur dank meiner Schwester, die mir oft genug gesagt hat, wie schrecklich die Studentenunterkünfte sind (weil ich es mir ehrlich gesagt nicht vorstellen konnte, dass sie soooo schlimm sind) und  meinen Eltern, die mich finanziell unterstützen können und dies auch tun. Darüber bin ich wirklich dankbar.

Erkenntnis Nummer 3 – Das Schwimmbad (“la piscine”): Diese Woche war es ultraheiss in Lyon. So heiss, dass ich einen Ausflug ins Einkaufszentrum unternommen habe, um Sommerkleider zu kaufen. Im Einkaufszentrum verkaufen sie aber schon die Herbst-/Winterkollektionen: Wintermäntel, Daunenjacken, Pullover. Nicht gerade das, was ich mir unter Sommerkleidung vorstelle. Die Reise ins Einkaufszentrum hat sich für mich daher nur so mittel gelohnt. Was ich eigentlich erzählen wollte: Das Schwimmbad in Lyon hat am Montag beschlossen, diese Woche (die ultraheisse Woche) ist der beste Zeitpunkt die Tore zu schliessen, um die Becken zu reinigen. Bravo! Am Mittwoch haben sie aber gemerkt, dass das eine blöde Idee war und haben beschlossen, die Reinigung zu verschieben und ihre Tore wieder zu öffnen. Bravo! (diesmal ist es ernst gemeint).

Erkenntnis Nummer 4 - Die öffentlichen Verkehrsmittel (“les transports publics”): Will man in Lyon ein Monatsabo für den öffentlichen Transport kaufen, muss man dies bei einer “Agence” (Geschäftsstelle?) machen. Man kann es nicht an dem Schalter lösen, der an jeder Metrostation zu finden ist. Man kann eine App runterladen für ein E-Ticket, nur leider gibt’s die nicht fürs IPhone. Man kann es auch online bestellen, dann muss man aber warten, bis es einem zugeschickt wird. Da ich aber nicht warten wollte, habe ich beschlossen bei der Agence vorbeizugehen. Leider ist Anfang September Schulanfang und Unistart in Lyon, das heisst ungefähr 100'000 Menschen wollen ein Monatsabo lösen. Und ich. Mein Timing könnte nicht besser sein. Was noch dazukommt: Es gibt nur fünf “Agences” in Lyon, das bedeutet: viel zu viele Menschen + viel zu wenig Ressourcen = viel zu lange Warteschlangen an jedem Tag zu jeder Uhrzeit = Ich war schon fünf Mal bei einer “Agence” - und habe immer noch kein Monatsabo (Bitte ignoriert, dass meine Gleichung zwei Gleichzeichen hat). Auch ein bisschen, weil ich zu faul war, um anzustehen. Aber auch ein bisschen, weil das französische Ticketsystem nervt.

Ich will aber nicht nur schlecht reden über die Stadt, die ich 10 Monate lang mein zu Hause nennen darf. Um mein Karma für Lyon wieder etwas unters rechte Licht zu rücken, folgen nun die positiven Erfahrungen, die ich bereits machen durfte. Erfahrung Nummer eins – die Märkte (“les marchés”): Ich habe mich in die französischen Märkte verliebt. Es ist so schön am Samstag morgen auf den Markt zu gehen, um einzukaufen. (Ich glaube ich werde langsam alt). Aber es macht echt Spass. Letzte Woche habe ich einen Händler kennengelernt und er hat mich gestern wiedererkannt. Mega lieb. Vermutlich, weil ich die Einzige auf dem Markt bin, die so gebrochen Französisch spricht aber dennoch ein kleines Erfolgserlebnis.

Erfahrung Nummer zwei – Die Erasmus Studenten (“Les étudiants Erasmus”): Ich habe schon viele neue Leute kennengelernt und kann einige von Ihnen langsam meine Freunde nennen. Ich bin fast jeden Abend mit Ihnen unterwegs und es macht Spass mit Menschen Zeit zu verbringen, die gerade genau das gleiche erleben wie ich. Neue Stadt, neue Kultur, neue Uni, neues Alles. Am Donnerstag habe ich wieder mit ein paar Studenten abgemacht, um auszugehen. Als ich aus der Tür gegangen bin, wurde mir plötzlich ziemlich übel und mein Darm begann verrückt zu spielen. Ich dachte mir das wird schon besser, wenn ich rausgehe und mich etwas bewege. Also habe ich mich trotzdem mit meinen Freunden getroffen. Wir kauften Bier und setzten uns an die Rhône vor das wunderschöne Hôtel-Dieu. Die Aussicht war der Wahnsinn. Als wir so am Bord der Rhône sassen, meinte einer meiner Freunde, dass es schon echt mühsam wäre, wenn einem von uns das Handy in den Fluss fallen würde. Das sind diese impulsiven, destruktiven Gedanken, die jedem durch den Kopf schiessen, sobald man sich an ein Flussufer setzt. Und alle lachen, weil es nur dumme Gedanken sind. Mir war aber bald nicht mehr zum Lachen zumute, weil mein Darm sich immer noch nicht beruhigt hat. Ich entschied mich nach Hause zu gehen – eine halbe Stunde nach dem ich angekommen bin. Meine Freunde verbrachten den Abend im Club – ich auf der Toilette. Danach ging es mir jedenfalls besser und ich war vermutlich diejenige mit den meisten Stunden Schlaf in dieser Nacht. Am nächsten Tag im Französischkurs war die Antwort auf meine Frage, wie die Party am Abend zuvor war, einstimmig: “C’était terrible” (“es war scheisse”). Okay die Antwort war nicht ganz einstimmig. Einer meiner Freunde ist ebenfalls früher nach Hause gefahren. Wieso? Sein Handy ist in den Fluss gefallen. Er ist hinterhergesprungen und aus offensichtlichen Gründen lieber nach Hause als zur Party gegangen. (Aber keine Sorge, sein Handy funktioniert noch). Manchmal haben Darmverstimmungen auch etwas Gutes.

Erfahrung Nummer drei – Das französische Essen (“la cuisine française”): Okay um ehrlich zu sein, habe ich das schon vorher gewusst und es ist auch nicht wirklich eine neue Erkenntnis. Und trotz Darmverstimmung denke ich immer noch so. Denn wenn mir etwas wichtig ist im Leben, dann ist es Essen und deswegen verdient das französische Essen eine “special mention”: Erstens, Pain au chocolat an jeder Ecke (ich weiss, basic, aber habt ihr gewusst? - kleiner Einschub für Weiterbildungszwecke - Es gibt in Frankreich ein eigenes Wort für Feingebäcke aus Blätterteig oder Hefeteig, wie zum Beispiel das pain au chocolat: “Viennoiserie”. Habe ich im Französischkurs gelernt. Dann frisches Obst und Gemüse vom Markt. Frische Crêpes für 1 Euro an der Universität (Eine Freundin meinte, Crêpes sind quasi ein Grundrecht für alle Bürger in Frankreich, auch für die mittellosen Studenten). Ein Restaurant, das nichts anderes als Waffeln verkauft. Salzige Waffeln zum Hauptgang und süsse Waffeln zum Dessert - Ein Traum!

Und Erfahrung Nummer vier – Meine Mitbewohnerinnen (“mes colocs”): Ich liebe sie jetzt schon. Ich liebe es, in dieser WG zu leben. Ich liebe es auch nicht allein zu sein. Wenn wir alle zuhause sind, essen wir zusammen. Morgens, mittags, abends. Es ist schön in guter Gesellschaft zu sein. Sie geben mir das Gefühl dazuzugehören. In einer fremden Stadt in einem fremden Land ist das unglaublich wertvoll. Zudem wird mir mit den beiden definitiv nicht langweilig. Sie sprechen fleissig mit mir Französisch und fungieren als meine persönlichen Nachhilfelehrerinnen. Währenddessen lernt eine meiner Mitbewohnerinnen Englisch. Ihr noch nicht sattelfestes Englisch und mein verbesserungsfähiges Französisch bilden die perfekte Grundlage für sehr unterhaltsame Missverständnisse. Es gibt viele Momente, in denen ich meine Mitbewohnerinnen nicht immer zu 100% verstehe, vor allem wenn sie zusammen sprechen und ich müde bin. Dann fragen sie mich ab und zu ob ich der Unterhaltung folgen konnte. Statt zu antworten, schaue ich sie nur mit grossen Augen an. Meine Mitbewohnerin hat diesem  Gesichtsausdruck einen Namen gegeben: “Erreur 404” (wie beim Computer, wenn es die Website nicht abrufen kann: “Error 404 - page not found”). Jedes Mal, wenn ich etwas nicht verstehe, heisst es nun: “Erreur 404. Erreur 404. Erreur 404.” Und das heisst es ziemlich oft. Noch.

Alles Liebe

-Kayley 

 

 

 

 

 

 

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